Das Medienforum NRW widmete sich in einer Podiumsdiskussion den erfolgreichsten Shows des deutschen Fernsehens – und stellten in Bezug auf Castingshows und Pseudo-Reality-Formate provokante Thesen auf.

Die aus TV-Machern und Medienexperten bestehende Diskussionsrunde stürzte sich in ihren Thesen zum Thema Fernsehunterhaltung schnell auf die am meisten polarisierenden Formate der deutschen Fernsehlandschaft: In Shows wie Deutschland sucht den Superstar, dem ebenso erfolgreichen wie auch kritisierten Dschungelcamp oder auch GNTM werde Quote und Erfolg vor allem durch Demütigung und provokante Aktionen versucht zu erreichen.
Medienwissenschaftler und Kulturjournalist Alexander Kissler benennt den Unterhaltungswert von Provokation, indem er auf eine Art Verwertungskette in den Showformaten hinweist: Castingshows wie DSDS oder Germany’s Next Topmodel liefern seiner Ansicht nach gleichsam die zukünftigen Teilnehmer für so provozierende wie auch peinliche Sendungen wie das Dschungelcamp. Die Formate ähneln sich laut Kissler in ihrem Grundprinzip, es handele sich dabei um eine Art Geschäft: die Kandidaten würden „den Augen zum Fraß vorgeworfen“, sie müssten sich quasi einer Entscheidungsmacht (Jury bzw. Zuschauer) unterwerfen und harte Prüfungen bestehen. Der Lohn für den Seelenstriptease bestehe aus dem, was jeder Möchtegern-Prominente am meisten brauche: mediale Präsenz und Aufmerksamkeit.
Die Gegenseite, bestehend aus TV-Produzenten und Show-Verantwortlichen, wies im Gegenzug deutlich darauf hin, dass allein durch Demütigung und Provokation allein keine gute Quote erreicht werden könne. Unterhaltung brauche zwar einen gewissen Anteil an Dramatik und Emotionen (wie zum Beispiel beim Fußball), dem müsse jedoch die körperliche und seelische Unversehrtheit der Teilnehmer übergeordnet sein.

Auch die Frage nach dem durch die genannten Sendungen vermittelten Menschen- und Weltbild wurde kontrovers diskutiert. Ulrich Schneider vom paritätischen Wohlfahrtsverband vertrat die Meinung, dass so genannte Scriptet-Reality-Formate (also Sendungen, die einem Drehbuch folgen, aber das „echte Leben“ vorspiegeln sollen) gerade den jungen Zuschauern die Illusion vermitteln, das Medium Fernsehen biete für nahezu jeden eine Karriereplattform. Die z.B. in Talkshows präsentierten „Typen“ bekämen fälschlicherweise eine Art Vorbildfunktion und würden oft ein verzerrtes Abbild der Wirklichkeit vorgaukeln.
Kern der Diskussion wurde schließlich die Frage, ob mit den benannten Formaten lediglich das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer befriedigt werden solle oder ob dadurch ein entsprechend herabwürdigendes Menschenbild erst beim Zuschauer erschaffen werde. Unbestritten blieb, dass provozierende Fernsehformate viele Zuschauer anlocke, da helfe auch alles moralische Verurteilen nichts. Ziel von Fernsehsendern könne es jedoch werden, dem Zuschauer daneben auch andere Inhalte anzubieten, für welche er sich begeistern könne.